Zeil am Main, Lkr. Haßberge. „Wir haben uns während unserer rund 60-jährigen Ehe noch nie so lange nicht gesehen oder gesprochen“, sagt Ludwig Leisentritt, der seit vier Wochen keinen Kontakt mehr zu seiner Frau Renate hatte. Die 81-Jährige lebt krankheitsbedingt im Zeiler Hans-Weinberger-Haus, in dem natürlich auch kein Besuchsverkehr mehr aufgrund der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus stattfinden kann. Nun konnte sich das Ehepaar aber endlich wieder sehen, wenn auch unter etwas ungewöhnlichen Umständen.
„Ich habe im Fernsehen ein Altenheim in der Schweiz gesehen, wo man in Containern mit Plexiglasscheiben-Abtrennung Besuche ermöglicht“, erklärt Hildegard Hückmann, die Einrichtungsleiterin des AWO-Pflegeheimes den Auslöser für ihre außergewöhnliche Idee. Hinter der ohnehin geschlossenen, großen Glastür im Eingangsbereich des Hauses können ab sofort die Besucher ihre Angehörigen sehen. Und auch das miteinander sprechen ist möglich. Dazu wurde kurzerhand ein Babyphone hergenommen, das die Kommunikation ermöglicht. „Die erste Woche war bereits komplett ausgebucht“, schildert Hückmann wie gut die Maßnahme bei den Besuchern ankommt. Alle Angehörigen der rund 100 Heimbewohner wurden angerufen und über die neue Besuchsmöglichkeit informiert. Im 30-Minuten.Takt werden Termine vergeben, zu denen dann die Altenheimbewohner durch das Pflegepersonal ins Foyer gebracht werden. Freilich ist die Situation etwas ungewohnt, aber alle haben ihren Gefallen daran, so Hückmann.
Renate Leisentritt wurde lange Zeit zu Hause von ihrem Mann gepflegt, bis der 82-Jährige an die Grenzen seiner Möglichkeiten stoß. Seit August letzten Jahres lebt sie nun im Altenheim ihrer Heimatstadt. Bis zum Besuchsverbot hat Ludwig Leisentritt seine Frau mehrere Stunden jeden Tag besucht und sogar mit ihr gemeinsam im Hans-Weinberger-Haus zu Mittag gegessen.
Der einstige langjährige Stadtrat und noch heute aktiver Stadthistoriker, der gemeinsam mit seinem Sohn Harald und dessen Frau Augusta den außergewöhnlichen Besuchstermin wahrnahm, ist begeistert, dass nun im Rahmen der Möglichkeiten solche Begegnungen ermöglicht werden. Er hofft auch langfristig auf andere Maßnahmen, die sich vielleicht ergeben. Leisentritt denkt dabei an Tests, die schnell und zuverlässig sicherstellen, dass sowohl Besucher als auch die Besuchten nicht mit dem Virus infiziert sind und eine Ansteckung unmöglich ist. Dann könnte man nach den Worten Leisentritts auf die Glasscheibe verzichten: „Die körperliche Nähe wäre gerade für die alten Pflegebedürftigen sehr wichtig“. Trotz aller Einschränkungen war Ludwig Leisentritt froh, dass sich seine Frau in einer sehr guten Verfassung gezeigt hat: „Wir hatten eigentlich mit allem gerechnet, aber auf so ein positives Ergebnis war ich nicht gefasst“.
Ein weiterer Besucher unter vielen anderen war auch Josef Gruber aus Sand. Der Rentner, der zusammen mit seiner Tochter seine Frau Paula besuchte, lobt das Pflegepersonal: „Es ist großartig was sich das Team des Altenheims mit dem Besuch hinter Glas hier einfallen lassen hat und gleichzeitig alles dafür tut, die Bewohner zu schützen und ihnen auch in Corona-Zeiten das Leben so angenehm wie möglich zu machen“. Ein Blumenstrauß, den Gruber einer Pflegerin durchs Fenster reichte, wird seine Frau nun noch einige Zeit an das Zusammentreffen erinnern.